 | - Von Stephen Brown - Stockholm 02. Okt (Reuters) - Zum zweiten Mal seit dem Ende der Apartheid in Südafrika hat ein weißer Schriftsteller des Landes den Literaturnobelpreis erhalten. Der medienscheue Autor John Maxwell Coetzee brauchte Stunden, bis er mit einer knappen schriftlichen Erklärung auf die Auszeichnung mit dem wichtigsten Preis der Welt reagierte. "Ich habe die Nachricht in einem Telefonanruf aus Stockholm erfahren. Sie war für mich völlig überraschend - ich wusste nicht einmal, dass die Bekanntgabe (des Preisträgers) anstand", hieß es in der Stellungnahme, die der 63-jährige Coetzee durch die Universität von Chicago verbreiten ließ, wo er derzeit unterrichtet. Der Südafrikaner hat bereits zwei Mal den Booker-Preis, die angesehenste britische Literaturauszeichnung erhalten - als erster Schriftsteller der Welt. In seinen Romanen zeichnet der in Kapstadt geborene Autor ein düsteres Bild der ethnisch geteilten südafrikanischen Gesellschaft. Der Autor galt seit langem als Anwärter auf den mit zehn Millionen Schwedischen Kronen (rund 1,1 Millionen Euro) dotierten Preis. Der weiße Südafrikaner sei ein "gewissenhafter Zweifler, schonungslos in seiner Kritik an dem grausamen Rationalismus und der kosmetischen Moral der westlichen Zivilisation", begründete die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm ihre Wahl. Wegen seines allegorischen Stils ist J.M. Coetzee mit Franz Kafka und Samuel Beckett verglichen worden. Mit Nadine Gordimer hatte bereits 1991 eine weiße Südafrikanerin den Preis erhalten. Coetzee gab aus Anlass der Preisverleihung weder eine Pressekonferenz noch zeigte er sich der Öffentlichkeit. Die Schwedische Akademie hatte zunächst Mühe, ihn zu erreichen. Selbst seine Booker-Preise - 1983 für seinen vierten Roman "Leben und Zeit des Michael K." und 1999 für "Schande" hatte er nicht persönlich entgegen genommen und war allen Feiern ferngeblieben.
LITERATURKRITIKER BEGRÜSSEN AUSZEICHNUNG COETZEES Zahlreiche Literaturkritikern und -wissenschaftler weltweit begrüßten die Wahl der Schwedischen Akademie. Die deutsche Kulturstaatsministerin Christina Weiss bezeichnete Coetzee als "politisch hellsichtigen Skeptiker, gnadenlosen Moralisten und kühnen Erzähler". Die Akademie lobte den kompositorischen Aufbau seiner Romane, deren feinsinnige Dialoge und analytische Brillanz. Er spüre stets Situationen nach, in denen sich die Unterscheidung von richtig und falsch als unbrauchbar erweise. Seine Helden seien von der Sehnsucht nach Untergang ergriffen. Aus dem Verlust ihrer äußeren Würde zögen sie jedoch paradoxerweise neue Stärke. So etwa in dem Roman "Schande", in dem ein Universitätsprofessor durch eine sexuelle Affäre mit einer Studentin alle Würde verliert und zu seiner Tochter zieht . Diese wird von mehreren schwarzen Männern brutal vergewaltigt und sieht darin die ausgleichende Gerechtigkeit für das Unrecht, das die schwarze Bevölkerung unter dem Apartheid-System erleiden musste.
S. FISCHER-VERLAG PLANT HÖHERE AUFLAGEN In Stockholms größtem Buchladen "Akademibokhandeln" waren sämtliche Werke Coetzees am Donnerstag innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Beim S. Fischer-Verlag, der zahlreiche Schriften Coetzees auf Deutsch verlegt hat, löste die Nachricht von seiner Auszeichnung große Freude aus. "Wir hoffen sehr, dass der Nobelpreis J.M. Coetzee noch bekannter macht als er ohnehin schon ist", sagte Verlagssprecher Martin Spieles. "Wir werden die Druckauflagen erhöhen." Von Coetzees Roman "Schande" wurden in Deutschland bislang insgesamt fast 100.000 Exemplare verkauft.
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