| Nairobi (dpa) - «Hirn ist Wohlstand» - dieser Satz ihres Vaters begleitete Lina Kilimo durch ihre Kindheit. Als einziges Mädchen zwischen ihren sechs Brüdern hing die Kenianerin an seinen Lippen, wenn er ihnen einschärfte: «Haltet eure Augen und Ohren offen. Wollt ihr nicht eines Tages London sehen?» Wenn ein Satz Berge versetzen kann, dann hat er Lina Kilimo aus einer Hirtenfamilie im abgelegenen Norden Kenias in den Sessel einer Staatsministerin beim Vizepräsidenten versetzt.
Die 40-Jährige ist eine von neun Frauen, die die Kenianer im vergangenen Dezember ins Parlament gewählt haben. Die kräftige Frau mit dem mädchenhaften Lächeln hat den höchsten Posten bekommen. Gegen alle Traditionen ihres Volksstammes im Rift Valley. Denn nach Überzeugung der Marakwet ist sie noch ein Kind. Kilimo ist vor der dort verbreiteten Beschneidung fortgelaufen, die nach dem Brauch ihres Volkes bis heute den Übergang vom Kind zur Frau symbolisiert.
Ihre Eltern waren arm. Ihr Vater behandelte sie und ihre Brüder gleichwertig. Erst in der Schule lernte sie, dass die Erwachsenen Unterschiede machen: «Die Jungen gingen nach der Schule spielen, wir Mädchen mussten immer Wasser holen.» Später holte einer ihrer Brüder sie nach Nairobi und schickte sie in der Hauptstadt zur Schule. Zwölf Jahre arbeitete sie in einer Bank, bevor ihre politische Karriere begann.
Nachbarn verspotteten ihren Ehemann, seine Frau würde ihm auf der Nase herumtanzen: «Was bist du für ein Mann, dass du deine Frau herumlaufen lässt, als hätte sie keine häuslichen Pflichten?» Doch Kilimos Mann lässt sie nicht nur «herumlaufen», er unterstützt sie. «Frauen können so viele Veränderungen bewirken, haben Intuition, sind opferbereit», meint die fünffache Mutter. «Ich möchte ein Vorbild sein, vor allem für junge Mädchen. Sie sollen sehen: An diesem Punkt hat Lina Kilimo angefangen, aber jetzt steht sie hier.»
Obwohl sie eine unbeschnittene Frau und Kämpferin gegen Genitalverstümmelung ist, stimmten die Menschen in ihrer konservativen, armen Heimatregion für sie. «Das war ein Opfer», sagt Kilimo. «Ich bin eure Tochter», hat sie ihnen im Wahlkampf zugerufen. Am Ende ihrer fünfjährigen Wahlperiode will die Tochter zählen: Die Kinder, die dank ihrer Arbeit zur Schule gehen können, und die Mahlzeiten, die durch mehr Wohlstand auf den Tisch der Familien kommen. 070130 Mrz 03
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